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Juli 2017

Vertragsstrukturen im Energiegroßhandel | Teil 2: Strukturierte Beschaffung

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Die Vollversorgung stellte vor der Liberalisierung der Energiemärkte die häufigste Form der Beschaffung dar. Um die Energiebeschaffung flexibler zu gestalten und zugleich die damit verbundenen Risiken zu reduzieren, lassen sich unterschiedliche Preismodelle und Vertragsklauseln einsetzen. Sie sind der erste Schritt von der Vollversorgung zur strukturierten Beschaffung.

Wichtigste Grundvoraussetzung für das Konzept der strukturierten Beschaffung ist eine möglichst genaue Abbildung des eigenen Energiebedarfs in die Zukunft. Abhängig von den verschiedenen Standardhandelsprodukten (Base, Peak) sowie strukturierten Produkten (Fahrpläne), wird die benötigte Gesamtmenge in Teilmengen zerlegt und zu unterschiedlichen Zeitpunkten beschafft. Folglich zählen die Auswahl der richtigen Produkte, der Einkaufszeitpunkte und die Ermittlung des voraussichtlichen Bedarfs zu den größten Herausforderungen.

Welche Gestaltungsmöglichkeiten es in diesem Beschaffungsmodell gibt, ist Gegenstand dieses Beitrags.

Fahrplanlieferung

Ein gängiges Produkt der strukturierten Beschaffung ist die sog. Fahrplanlieferung. Zu diesem Zweck wird auf Grundlage des individuellen Lastgangs ein sog. Fahrplan zur Lieferung (Stunden-, Tages- und Monatsfahrpläne) erstellt. Fahrplan meint in diesem Kontext die Prognose der benötigten Energiemengen je Zeiteinheit. Die Energiemenge wird dann entsprechend des ermittelten Fahrplans und zu einem festgelegten Preis (abhängig vom Preismodell) bezogen. Die benötigte Menge wird über Standardhandelsprodukte zu Großhandelspreisen am Markt eingekauft.

Da die Beschaffung anhand des erstellten Fahrplans erfolgt, übernimmt der Abnehmer das Mengenrisiko im Falle einer Abweichung. Der Lieferant muss dadurch dieses Risiko nicht in den Nettoenergiepreis einkalkulieren und kann bessere Preise anbieten als z.B. bei der Vollversorgung. Abweichungen von der vereinbaren Liefermenge sind i.d.R. nur möglich, wenn dieses vorab vertraglich z.B. durch Toleranzmengen (vgl. unten) festgelegt wurde. Andernfalls werden Toleranzmengen häufig verbrauchsscharf zu Spotmarkt-Preisen zwischen Lieferant und Kunde abgerechnet.

Um die Vorteile einer Fahrplanlieferung nutzen zu können, muss der Prognoseverbrauch mit hoher Genauigkeit dem realen Verbrauchsprofil entsprechen. Gerade für Großkunden mit einem heterogenen Verbrauchsprofil kann die Fahrplanlieferung das grundlegendste Element der strukturierten Beschaffung sein.

Bandlieferung

Die Bandlieferung gilt als eine spezielle Form der Fahrplanlieferung, bei der die Energie für die gesamte Vertragslaufzeit mit einer konstanten Menge geliefert wird, unabhängig vom realen Bedarf. Das heißt, zu jeder Stunde des Lieferzeitraums wird dieselbe Energiemenge geliefert. Es können verschiedene Bandprodukte (Jahres-, Saison-, Quartals- oder Monatsband) miteinander kombiniert werden. Dabei ist lediglich zu beachten, dass die stündliche Liefermenge nicht größer als der minimale Stundenverbrauch des prognostizierten Bedarfs ist.

Da der Energiebedarf eines Unternehmens zeitlichen Schwankungen unterliegt, eignet sich die Bandlieferung zur Deckung des langfristigen Grundbedarfs. Vorteile der Bandlieferung sind die langfristige Preisabsicherung und eine damit verbundene Planungssicherheit.

Abbildung 1: Prognostizierter Bedarf und Teilabdeckung dieses Bedarfs durch Bandlieferung

Vertikale Tranchen

Im Gegensatz zur Bandlieferung, die nur Grundlast abdeckt, wird beim vertikalen Tranchenmodell der prognostizierte Bedarf in unterschiedlich strukturierte Tranchen aufgeteilt. So können verschiedene Terminmarktprodukte wie „Monat“, „Quartal“, „Saison“ und „Jahr“ miteinander kombiniert werden. Die Bandlieferung kann so durch weitere Produkte ergänzt werden.

Abbildung 2: Beispielhaftes Beschaffungsszenario mit vertikalen Tranchen (Monatstranchen)

Dies hat den Effekt, dass der Preis der einzelnen Tranchen dichter am tatsächlichen Marktpreis liegt. Häufig wird dieser Effekt als Vorteil wahrgenommen. Ob dies tatsächlich ein Vorteil ist, hängt in der konkreten Situation am Markt ab, d.h. der Entwicklung des Preises.

Kombination horizontaler und vertikaler Tranchen

So können verschiedene Terminmarktprodukte wie „Monat“, „Quartal“ und „Jahr“ miteinander kombiniert werden. Die Bandlieferung kann so durch weitere Produkte ergänzt werden.

Abbildung 3: Beispielhaftes Beschaffungsszenario bei Kombination vertikalen und horizontaler Tranchen

Fixingzeitpunkt Volumen (MWh) Preis €/MWh Laufzeit Produkt
02. Sep 8.760 28,82 01.01.2017 – 31.12.2017 Jahr Base
16. Sep 2.160 32,00 01.01.2017 – 31.03.2017 Quartal Base
03. Jan 720 20,67 01.05.2017 – 30.05.2017 Monat Base

Die Volumina der verschiedenen Base-Produkte errechnen sich aus der Anzahl der Liefertage und der täglich zu liefernden Menge. Die zu liefernde Menge  Strom der Phelix-Base-Futures (Terminmarktprodukte) beträgt 24 MWh pro Tag.

Da der Einkäufer beim vertikalen Tranchenmodell die Möglichkeit hat, neben Jahresprodukten auch Quartals- und Monatsprodukte einzusetzen, verlagert er die Beschaffungszeitpunkte in das Lieferjahr hinein. Das heißt durch die Kombination der verschiedenen Produkte, werden die Tranchen für verschiedene Lieferzeiträume (Quartal, Monat) beschafft.

Durch die frei wählbaren Mengen und Streuung der Beschaffungszeitpunkte kann der Energiekunde den Bezugspreis steuern und gleichzeitig das Preisrisiko stark reduzieren. Der Kunde kann so kurzfristig auf Marktveränderungen reagieren und von diesen profitieren. Um diese Vorteile zu generieren, sind die genaue Marktbeobachtung und Analyse der Großhandelspreise Grundvoraussetzungen. Dafür ist energiewirtschaftliche Sachkenntnis unverzichtbar.

Die Tranchenbeschaffung kann entweder automatisiert oder manuell erfolgen. Bei der manuellen Beschaffung wählt der Einkäufer die Beschaffungszeitpunkte und Menge selbstverantwortlich. Der Lieferant beschafft seinerseits entsprechend der Anweisung die Energiemenge, z.B. an der Börse. Oft wird dieses Modell von den Lieferanten erst ab einer bestimmten Mindestabnahmemenge angeboten und kommt so für kleinere und mittel große Kunden nicht infrage. Zudem wird für die manuelle Beschaffung ein gewisses Fachwissen seitens der Abnehmer vorausgesetzt. Nicht jedes Unternehmen hat die Ressourcen, dieses aufzubauen.

Die automatisierte Tranchenbeschaffung kann eine geeignete Möglichkeit sein, durch einen festgelegten Beschaffungsrhythmus und mit Hilfe von Preislimits die Vorteile des Modells mit geringem Aufwand zu nutzen. So könnte z.B. immer zu einem bestimmten Termin im Voraus eine bestimmte Energiemenge für eine bestimmte Periode beschafft werden, es sei denn der Preis liegt einen bestimmten Betrag über einem vorher definierten Limit. Auf diese Weise können auch kleine und mittelgroße Energiekunden das Tranchenmodell nutzen ohne, dass sie ein eigenes aufwändiges Beschaffungsmanagement oder einen professionellen Marktanalysten benötigen.

Restmengen

Der Großteil des prognostizierten Bedarfs kann durch die o.g. Produkte gedeckt werden. In den jeweiligen Grafiken heißt dies praktisch, dass man versucht, den prognostizierten Bedarf so gut wie möglich mit Rechtecken (Tranchen) auszufüllen.

Häufig ändern sich jedoch kurzfristig Prognosen. Je näher man an den Verbrauchszeitpunkt herankommt, desto genauer können Prognosen sein. Aber auch dann können nicht immer alle Bedarfsmengen exakt vorhergesehen werden. Es ergibt sich dann ein Restbedarf.

Um diesen Restbedarf zu decken, gibt es verschiedene Optionen.

Mit der sog. Residual- oder Restmengenlieferung können offene Mengen kurzfristig über den Spotmarkt gedeckt und zu Spotmarktpreisen abgerechnet werden. Dies geschieht entweder im Day-Ahead-Markt für Stundenkontrakte am Vortag oder im Intraday-Markt bis 30 Minuten vor Lieferbeginn der Menge und für Zeitspannen von Viertelsunden- bis Stundenkontrakte.

Die Restmengenlieferung ist eine optimale Ergänzung zum vertikalen Tranchenmodell oder zur Fahrplanlieferung.

Abbildung 4: Deckung des realen Bedafs durch kurzfristige Restmengen

Toleranzmengen

Alternativ kann die Aufnahme einer Toleranzgrenze zur vertraglich vereinbarten Liefermenge zur Begrenzung des Mengenänderungsrisikos vereinbart werden. Ausgehend vom prognostizierten Verbrauch wird eine Toleranzgrenze von z.B. ± 10% festgelegt. Innerhalb dieser Toleranzgrenze wird der tatsächliche Verbrauch zum vereinbarten Bezugspreis abgerechnet. Überschreitungen und Unterschreitungen werden je nach Vertragsgestaltung pönalisiert (i.d.R. teurer abgerechnet) oder zum aktuellen Marktpreis abgerechnet.

Diese Regelung eignet sich besonders als Ergänzung zur Fahrplanlieferung, da es zwischen dem Prognoseverbrauch und dem realen Verbrauch immer wieder zu Abweichungen kommt. So fängt die Toleranzgrenze kurzfristige Schwankungen im realen Verbrauch ab.

Die Aufnahme einer Toleranzgrenze in einen Vertrag führt zu einem besseren Energiepreis, da der Lieferant sein Marktpreisrisiko reduziert. Auch der Abnehmer profitiert davon, da die Toleranzgrenze kurzfristige Schwankungen bei größtmöglicher Preissicherheit (Abrechnung zum Bezugspreis) ermöglicht. Für den Abnehmer optimal wäre die Option, dass die Mengen bei Unterschreitungen zum Marktpreis erstattet werden.

Abbildung 5: Energielieferung mit Toleranzgrenzen

In diesem Modell ist es wichtig, dass der Energiekunde möglichst treffsichere Bedarfsprognosen erstellen kann, da ansonsten Abweichungen zu entsprechend höheren Preisen beschafft (oder abgegeben) werden müssen.

Fazit:

Mit der strukturierten Beschaffung haben Unternehmen die Möglichkeit, an Preisschwankungen des Marktes zu partizipieren und die benötigten Mengen zu günstigen Zeitpunkten zu beschaffen. Ziel ist aus Sicht des Kunden immer ein möglichst niedriger Bezugspreis, der unterhalb des durchschnittlichen Marktpreises liegt. Abhängig von der Beschaffungsstrategie wird der Bedarf durch die Kombination verschiedener Produkte bei unterschiedlichen Lieferanten gedeckt. Da jedoch die handelbaren Standardprodukte den realen Lastgang nicht vollständig abdecken, können Abweichungen durch Toleranzen abgefangen werden, bzw. erfolgt die Deckung des Restbedarfs über Restmengenlieferung (Spotmarkt).

Bei der Frage, ob sich diese Beschaffungsform rentiert, müssen neben den Risiken die zusätzlichen Transaktionskosten berücksichtigt werden. Diese entstehen entweder im Unternehmen als administrativer und personeller Aufwand oder durch die Inanspruchnahme externer Dienstleister und liegen in diesen Modellen für den Kunden deutlich über den Transaktionskosten einer Vollversorgung.

Die Flexibilität der strukturierten Beschaffung kann noch weiter ausgebaut werden. Man spricht dann häufig von sog. Portfoliomanagement, das sich als Weiterentwicklung der strukturierten Beschaffung begreifen lässt. Im 3. Teil der Serie gehen wir darauf ein, was charakteristisch für diese Beschaffungsform ist.